Winter. Wege zur Linderung von Depressionen Teil 2

Depression (2)

Für Menschen, die eine Tendenz zu depressiven Episoden oder Verstimmungen haben, stellt der kalte, dunkle Winter eine Herausforderung dar – und es wird nicht einfacher, wenn im Dezember die „Heilen“ mit ihren Kindern Plätzchen backen, mit den Liebsten Geschenke tauschen und im Kreise guter Freunde trunken ins Neue Jahr tanzen.
Es ist ratsam, sich in depressiven Zeiten unterstützen zu lassen – von einer Therapeutin welcher Art auch immer, von einer Yogalehrerin, einer Psychiaterin oder wem auch immer.
Während du das tust – oder während du darauf wartest, unterstützt zu werden, gibt es ein paar Möglichkeiten, wie du dir selbst dabei helfen kannst, dein Leiden zumindest zu lindern.

Ich stelle dir in den nächsten drei Blogbeiträgen die 10 Methoden der Selbsthilfe bei depressiven Verstimmungen vor, mit denen ich die besten Erfahrungen gemacht habe. Die ersten drei findest du hier im Teil 1. Hier kommen die nächsten:

Viertens: Arbeit an Glaubenssätzen

Depressive Verstimmungen gehen oft mit selbstabwertenden, pessimistischen, katastrophierenden und generalisierenden Annahmen über die Welt, einen selbst, das Leben als solches usw einher.
Ob es dein gesunkener Serotoninspiegel ist, der zu dysfunktionalen Grübelschleifen führt, oder ob es an den schokierenden, traurigen, beängstigenden Dingen liegt, die dir geschehen sind oder ob es sich andersherum verhält, lässt sich nicht allgemein sagen. Aber als Systemikerin glaube ich, dass alles zusammenhängt – in diesem Fall Körper, Geist und Gefühl – und dass wir deswegen wie beim Murmelspiel an einem beliebigen Punkt ansetzen können, um das gesamte System zu verändern.

Wenn wir uns depressiv fühlen, neigen wir zu Glaubenssätzen, die uns und die Welt in einem staubig-fahlen Licht zwischen grau und schwarz ausleuchten. Wir denken beispielsweise: Ich bin nicht liebenswert / niemand wird mich je lieben / es geht ja eh alles schief / ich bin einfach unfähig / Ich mache immer alles falsch / Wenn das nicht klappt, ist alles vorbei / das halte ich nicht aus / es wird nie wieder gut / alle sind glücklich, bloß ich nicht / ich bin zu hässlich/alt/dick, um geliebt zu werden / Am Ende verlassen mich eh alle / Man kann niemandem trauen / es wird sich nie etwas ändern usw usf.

Kennst du solche oder ähnliche Gedanken von Dir? Sind diese Glaubenssätze angenehm für dich? Wenn nicht, möchtest du angenehmere finden? (Es geht hier wohlgemerkt nicht um den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen. Über Wahrheiten zu diskutieren, ist in der Regel ziemlich ermüdend. Uns interessiert jetzt einzig, was dir gut tut.)

Schreibe einen deiner vertrautesten Glaubenssätze auf einen großes Blatt Papier. Spüre nach, wie es sich anfühlt, das zu lesen. Denk darüber nach, wann und wie und durch wen dieser Satz in dein Leben gekommen ist. Und dann finde einen Satz zum gleichen Thema, der dir bessere Gefühle macht. Aus Immer mache ich alles falsch wird dann vielleicht: Manchmal mache ich etwas richtig. Oder: Ich darf auch mal was falsch machen. Oder: Ich bin liebenswert, egal wie viele Fehler ich mache. Oder: Scheitern befreit. Was auch immer sich für dich stimmig anfühlt. Verzichte auf Füllwörter, sei präzise. Und dann schreibe deinen Satz auf ein neues Blatt. Riesengroß. In Leuchtlettern. Und häng dir diesen Satz über dein Bett. Und über deine Badewanne und über den Abfalleimer und wo immer du ihn brauchst. Und da bleibt er hängen, bis du dir glaubst.

Fünftens: Achtsamkeit. Rosinen, Mandalas und Co.

Achtsamkeit ist Gold wert. Ganz besonders, wenn wir depressiv sind. Denn was Achtsamkeit tut, ist, uns aus dem Dort und Damals, dem Dann und Da hinauszupflücken und uns ins Hier und Jetzt zu verpflanzen. Das Hier und Jetzt ist in unserem Breitengraden ziemlich oft ziemlich okay. Was uns peinigt, ängstigt und verzweifeln lässt, liegt meist in der bereits überlebten Vergangenheit oder der bislang nur angenommenen Zukunft. Hier und Jetzt ist das Sofa weich und nachgiebig in unserem Rücken, ist der Kaffee heiß und dunkel, das Fell der Katze samten, dieser Schal weich und warm. Hier und Jetzt färbt sich der Himmel violett, springt ein Hund freudvoll um ein Kind, knackt die Schokoladenschicht, wenn wir in ein Eis beißen. Hier und jetzt hören wir unser Lieblingslied oder das Zwitschern eines Vogels oder das Rauschen des Wassers. Hier und jetzt ist die Sonne warm oder der Wind frisch, schmilzt ein Bonbon in unserem Mund und schlüpfen wir in knallrote Stifeletten.

Was uns im Hier und Jetzt verankert, sind unsre Sinne. Zu denen verlieren wir oft den Kontakt, wenn wir depressiv unseren Grübelschleifen hinterherhetzen.
Dann helfen Übungen wie die Rosinenmeditation. Und die geht so:

Nimm dir eine Rosine (vielleicht wartet ja eine irgendwo in deinen Küchenschränken schon seit Jahren auf genau diese Übung).
Dann setzt dich bequem und aufrecht hin und nimm ein paar tiefe Atemzüge (Achtsamkeit geht immer mit bewusstem Atmen einher, denn Atmen ist Leben, ist Körper, ist Gefühl).
Schau dir deine Rosine etwas genauer an. Welche Farbe hat sie? Wie tief sind ihre Furchen? Wie klein ist sie im Vergleich zu deinen Nägeln? Erkennst du eine Landschaft auf dir?
Führe die Rosine an dein Ohr. Wie klingt sie? Du musst sehr aufmerksam lauschen, um sie zu hören.
Halte dir deine Rosine unter die Nase. Wonach riecht sie? Und woran erinnert dich das?
Spüre, wie sich die Rosine zwischen deinen Fingern anfühlt. Wie hart/weich ist sie, wie glatt oder rauh?
Lege sie dir schließlich auf die Zunge. Wie fühlt sie sich hier an? Und wie schmeckt sie?

Was ich neben Rosinen auch sehr liebe, sind Mandalas. Depressiv zu sein, bedeutet oft, weder Kraft noch Lust für irgendwas zu haben. Dann kuckt man Netflix leer oder stalkt seine Expartner online oder man malt eben Mandalas aus. Das ist nicht so schwer. Man muss dabei nicht nachdenken und sich nur minimal bewegen. Man kann sich die Farben aussuchen, die einem am besten gefallen oder man nimmt einfach die, die man als erstes in den Fingern hat.
Obwohl man nicht viel tut, tut man etwas Sinnvolles, denn am Ende hat man ein schönes Bild gemalt, in Farben, die einem guttun. Und während man das tut, denken die Gedanken so vor sich hin, erlangen aber nicht ihr übliches Affentempo, weil sie immer wieder von den Rändern der Muster und dem Leuchten der Farben ausgebremst werden.
Wenn du gerade zwischen zwei depressiven Hochphasen die nötige Energie besitzt, kann ich Dir Yoga und/oder Meditationen nur wärmstens ans Herz legen.

Sechstens: Sonnenspaziergänge, Vitamin D und Vollspektrumlampen

Gerade saisonal bedingte Stimmungstiefs haben oft mit einem Mangel an Sonnenlicht zu tun. Dagegen hilft es, in den Süden zu ziehen oder zumindest auf den Canaren zu überwintern. Aber wenn du dir das nicht leisten kannst – weder finaziell noch beruflich noch sonst irgendwie, dann versuchst du am besten, aus den trist-düsteren deutschen Wintern so viel Licht herauszupressen wie du kannst.
Generell gilt: Draußen ist immer mehr Sonnenlicht als drinnen. Auch wenn deine Wetterapp diese kleine gelbe Sonne längst aus ihrem Repertoire gestrichen hat und du ohne Deckenlicht tagsüber die Küche nicht findest, scheint die Sonne draußen trotzdem vor sich hin. Du kriegst davon nicht so viel mit wie an den strahlenden vergangenen Sommertagen, aber trotzdem bekommst du im Freien immer noch mehr Licht als drinnen. Also geh spazieren oder fahr Fahrrad, wenn du kannst. Gleichmäßige Bewegung ist ja auch meist wohltuend bei depressiven Verstimmungen.
Wenn du aber nicht kannst, weil du zu müde bist, um dir den Muntermacher Sonne zu erlaufen, dann hilft dir vielleicht eine Vollsprektrumlampe (auch Tageslichtlampe genannt). Sie entspricht in ihrer spektralen Zusammensetzung dem Sonnenlicht und hilft dir, wenn du eine mit mehr als 2000 Lux kaufst, das Schlafhormon Melatonin in Schach zu halten.
Außerdem könntest du dir von Deinem Arzt Vitamin D verschreiben lassen. Vitamin D nimmt unsere Haut gewöhnlich durch Sonneneinstrahlung auf. Ein Mangel davon macht uns oft gereizt, depressiv und müde. Vitamin D ist in gewisser Weise Sonne in Tablettenform.

Meine eigene Laune hebt sich oft, wenn ich den vergangenen Sommer mit all seinem Licht und all seinen Farben auf kleine Zettelchen banne und ihn mir so wieder vor Augen führe. Der Sonnenuntergang über dem See, einen Weißwein in der einen, einen geliebten Menschen an der anderen Hand. Die gleißende Sonne über dem Atlantik und meine Arme gruben sich wie Propeller durch die Wellen. Der Geruch von Sonnenmilch und Schweiß. Sandkörner zwischen Buchseiten. Nackte, schmutzige Füße. Eine Papiertüte voll Erdbeeren oder gekochten Krabben. Ploppende Korken im Schlauchboot. Der Geruch von Basilikum.

Wenn du dich schwer depressiv fühlst, Suizidgedanken hast oder aus anderen Gründen dringend Hilfe brauchst, wende Dich bitte an die Telefonseelsorge unter
0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222
Telefonseelsorge oder an den Krisendienst deiner Gegend.

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