Winter. Wege zur Linderung von Depressionen Teil 1

Depression (1)

Für Menschen, die eine Tendenz zu depressiven Episoden oder Verstimmungen haben, stellt der kalte, dunkle Winter eine Herausforderung dar – und es wird nicht einfacher, wenn im Dezember die anderen mit ihren Kindern Plätzchen backen, mit den Liebsten Geschenke tauschen und im Kreise guter Freunde trunken ins Neue Jahr tanzen.
Es ist ratsam, sich in depressiven Zeiten unterstützen zu lassen – von einer Therapeutin einer Yogalehrerin, einer Psychiaterin oder wer auch immer dir hilfreich scheint.
Während du das tust – oder während du darauf wartest, unterstützt zu werden, gibt es ein paar Möglichkeiten, wie du dir selbst dabei helfen kannst, dein Leiden zumindest zu lindern.

Ich stelle dir in den nächsten drei Blogbeiträgen die 10 Methoden der Selbsthilfe bei depressiven Verstimmungen vor, mit denen ich die besten Erfahrungen gemacht habe. Hier sind die ersten drei. (Die nächsten findest du hier im Teil 2)

Erstens: Akzeptanz

Es geht dir nicht gut. Auch, wenn du kein gebrochenes Bein hast, kein Fieber, auch wenn du dich nicht erbrichst.
In deinem Kopf beißen sich die Gedanken gegenseitig und rennen dabei im Kreis, so schnell sie können. Vielleicht ist dir schwindelig, bist du müde oder schlaflos, vielleicht sind deine Glieder unruhig. Und die Welt verbirgt sich hinter einer durchsichtigen Wand.
Dein Fieberthermometer kann das nicht wissen, aber es geht dir nicht gut, und das heißt, du brauchst Ruhe. Versuche, dich zu erholen. Nimm dir dafür die Zeit, die du brauchst. Arbeite jetzt weniger als sonst, so wenig wie möglich, triff keine wichtigen Entscheidungen, reduziere Fürsorgeaufgaben so gut es geht und renoviere deine Wohnung wann anders.
Du weißt, was dich für gewöhnlich aufheitert (Sonne, frische Luft, Spaziergänge, Schokoladenkuchen, bestimmte Menschen, Yoga, Lächeln). Wenn es dir möglich ist, gönn dir davon soviel wie du kannst. Aber wenn du nicht kannst, dann mach dir keine Vorwürfe, sondern mach es dir so leicht, wie es geht. Schalte den Fernseher ein, ruf einen Pizzaservice an, bleib im Schlafanzug und nimm dir frei.
Niemand wird schneller gesund, weil man ihn anschreit. Also hör auf, dich anzuschreien.
Vielleicht gelingt es dir, deinem Umfeld gegenüber so ehrlich zu sein, wie dir selbst gegenüber. Vielleicht kannst du Freunden schreiben, du könntest gerade nicht telefonieren / heute Abend nicht mitkommen, denn du gingst durch eine depressive Episode und bräuchtest dafür Ruhe. Vielleicht kannst du mit Partner_innen, Mitbewohner_innen oder Kolleg_innen darüber reden, dass du gerade nicht auf der Höhe deiner Leistungsfähigkeit bist und soviele Aufgaben abgeben möchtest wie möglich – und dass du dich bei Gelegenheit revanchieren wirst.
Akzeptiere, dass du gerade Ruhe brauchst. Sei fürsorglich zu dir selbst. Niemand braucht dich momentan so sehr wie du.

Zweitens: Morgenseiten

Julia Cameron hat in Büchern wie „Der Weg des Künstlers“ das Konzept der Morgenseiten entwickelt. Es funktioniert folgernder Maßen:
Sobald du wach genug bist, nimmst du dir einen Stift und ein Schreibheft (idealerweise liegt beides schon an deinem Bett) und schreibst drei Seiten lang ohne den Stift abzusetzen. Kümmre dich nicht um den Inhalt deiner Worte, der Inhalt passiert von ganz allein. Deine einzige Aufgabe ist es, deine Hand in Bewegung zu halten, den Fluss der Worte nicht abreißen zu lassen. Wenn du mit dieser Übung anfängst, fällt sie dir vielleicht schwer, fällt dir vielleicht nichts ein. Das ist normal. Ich stelle mir unsere Aufmerksamkeit wie einen riesigen Scheinwerfer vor. Für gewöhnlich ist dieser Scheinwerfer nach außen gerichtet. Für die Morgenseiten musst du ihn nach innen kippen. Aber die Scharniere sind durch die Jahre der Bewegungslosigkeit ganz rostig. Er fällt schwer, diesen Riesenscheinwerfer plötzlich von außen nach innen zu richten. Genauso macht es Mühe, ihn später wider nach außen zu kippen. Aber natürlich wir das leichter, je öfter du es tust.
Morgenseiten zu schreiben, bedeutet, du beginnst den Tag mit dir selbst. Bevor du irgendwelchen Menschen oder Herausforderungen begegnest, begegnest du dir.
Morgenseiten zu schreiben ist ein guter Grund, wach zu werden, denn du wirst dich auf die Zeit mit dir selbst freuen.
Morgenseiten zu schreiben, verlangt nichts von dir. Es ist unmöglich, etwas falsch zu machen, du kannst so banal, schlicht, unlogisch und orthographisch falsch schreiben, wie immer du willst, es ist ganz gleich – und niemand wird je lesen, was du morgens schreibst.
Manche Menschen tragen mit den Morgenseiten all den Staub aus Pflichten und Grübeleien ab, der auf ihren Gedanken liegt: Sie lassen ihre hektischen, immer gleichen Sorgen, Ängste, Alltagsnervereien auf diese drei Seiten des Morgens fließen um dann den Rest des Tages mit einem freieren Geist zu denken.
Manche Menschen erzählen ihren Morgenseiten von der Wut, der Trauer, der Angst, die sie anderen gegenüber niemals zum Ausdruck bringen könnten.
Manche kommen auf den Morgenseiten ihren Träumen näher. Oder ihren Fähigkeiten. Manchmal auch ihrem Schmerz.
Morgenseiten sind ein Ritual, in das wir uns fallen lassen können, um zu uns selbst zu gelangen, um lästige Gedanken loszulassen und den Kontakt zu unseren Gefühlen wiederzufinden. Und zwar, ohne dass wir irgendetwas anderes dafür tun müssen, als den Stift über das Papier zu bewegen.
Wenn es uns gelingt, dauerhaft mit Morgenseiten in den Tag zu starten, werden depressive Verstimmungen in der Regel flacher, kürzer und seltener.

Aber vergiss Punkt eins (Akzeptanz) nicht. Sollten drei Seiten gerade zu anstrengend für dich sein, schreibst du weniger. Und ist jeder Satz zuviel, dann beginnst du mit der Übung zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es dir wieder besser geht.

Drittens: Morgendusche

Wenn du duschst, wo bist du dann? Im Büro, im gestrigen Abend, in deinem Sorgen, in deinen Gedanken?
Wenn du das nächste Mal duschst, dann versuche, dabei so viel Zeit wie möglich tatsächlich unter dieser Dusche zu verbringen. Lebe in deinen Sinnen, statt durch deine Gedanken zu fliehen. Welche Temperatur hat das Wasser? Ist es so gut, oder willst du es kälter/heißer probieren? Wie fühlt es sich an, wenn du das Duschgel auf deiner Haut verteilst? Wie zärtlich bist du zu dir selbst? Wie klingt das Prasseln des Wassers auf deiner Haut, in der Dusche? Wie klingt der Schaum? Wie riecht dein Duschgel? Magst du das? Wie schmeckt das Wasser?
So oft deine Gedanken abschweifen (was sie ständig tun werden), so oft versuche, dich wieder einzufangen und zurück unter die Dusche zu bringen.
In depressiven Phasen empfinden wir unsere Haut oft als taub, die Welt von uns abgeschnitten. Erwarte also nicht zu viel von dieser Übung. Nähere dich deinem Körper mit Geduld.
Tue das, wann immer du die Energie dafür aufbringen kannst.
Deine Sinne sind die Brücke zwischen Dir und der Welt. Der Verkehr auf dieser Brücke gerät in depressiven Phasen ins Stocken. Aufmerksame Morgenduschen können ein Schritt auf dem Weg zu mehr Austausch zwischen der Welt und dir sein.

Wenn du dich schwer depressiv fühlst, Suizidgedanken hast oder aus anderen Gründen dringend Hilfe brauchst, wende Dich bitte an die Telefonseelsorge unter
0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222
Telefonseelsorge oder an den Krisendienst deiner Gegend.

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